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Ich muss Euch um Entschuldigung bitten – Ein Mission Statement

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Im Herbst 2015 habe ich den #alleineurlaub erfunden. Ach ne: Genau genommen hat Steffi den erfunden. Als sie mir vorschlug, dass ich doch mal ein paar Tage irgendwo alleine hinfahren sollte, um mal wieder aufzutanken. Ich war einfach total durch. Folgendes war geschehen: Alles war super. Und doch war ich nicht glücklich.

Holen wir mal ein wenig aus.

Nun könnte man darüber schwadronieren, was dieses „glücklich“ eigentlich heißen soll. Ob überhaupt irgendjemand wirklich „glücklich“ ist. Oder dass es ja auch einfach mal gut sein kann, so wie es ist. Doch Steffi hatte Recht: Ich war nicht nur nicht glücklich, sondern auf dem besten Weg frontal in einen Burn out zu crashen. Seit dreieinhalb Jahren war ich nun Freiberufler und hatte irgendwie nur gearbeitet. Die Ergebnisse waren toll. Alles war super. Aber der Tank komplett leer. Ihr wisst, wie man dann mit sich und seinen Lieben umgeht, oder?

Also fuhr ich für einige Tage nach Berlin. Da wurde ich direkt krank. Außerdem hatte ich mir ein wenig Arbeit mitgenommen (normaler Freelancer-Move, Projekt musste fertig werden), die total eskalierte. Also habe ich doch nur gearbeitet, irgendwas gegessen und geschlafen. Arminia, die ich mir am Samstag jenes Wochenendes auswärts bei den Eisernen von Union Berlin anschaute, spielte auch mehr schlecht als … ach, egal. Pudding gegen Eisen halt. Das hatte also auch nicht funktioniert. Der schöne Plan von Steffi und mir auf breiter Front gescheitert.

Dennoch wurde in den Wochen drauf alles irgendwie besser. Wir bezogen neue Büros. Leichter wurde es auch, weil Torben bald in die Agentur kam und half, den Berg an Arbeit zu bewältigen, den ich seit Monaten vor mir herschob. Und wir bekamen noch mehr großartige Jobs, die uns vieler Sorgen befreite. Puh.

Also wiederholte ich das Experiment #alleineurlaub. Erfolgreich. Den misslungenen #alleineurlaub2015 bügelte ich durch einen großartigen #alleineurlaub2016 aus. Diesmal nicht in Berlin. Sondern in England. Birmingham, Shrewsbury und London. Ja. Es war vieles viel besser. Nun müsste es doch dann mal gut sein, oder?

Oder nicht: Trotzdem dümpelte das Leben oft noch so neben mir her. Wir, mein Leben und ich, waren einfach keine Einheit mehr. Wie ein altes Ehepaar, das abends zusammen auf dem Sofa RTL schaut, aber doch getrennt dabei weg döst. Nicht immer. Aber so oft, dass mir und anderen das auffiel. Weit weg von einer Depression, aber doch bedrückend genug innerhalb eines Lebens, in dem alle Variablen zu passen scheinen.

Ein verrückter Einwurf mitten im Text: Am Tag nach dem Abend der ersten Textfassung entdeckte ich in London zufällig die Ausstellung „Cathedral of the Pines“ von Gregory Crewdson und in dieser das Bild „The Basement“. Genau so wie dieses Bild fühlt sich das an, diese Metapher von dem alten Ehepaar auf dem Sofa. (Auch wenn dies kein Ehepaar zu sein scheint.) Diese Koinzidenz landet dann irgendwo in der Schublade Schicksal. Verrückt. Ende Einwurf.

In vielen Gesprächen mit vielen Menschen tanzten wir um diese quälende Belanglosigkeit herum. Immer im Hinterkopf habend, dass doch eigentlich alles total gut war. Agentur super, Projekte super. Irgendwie nebenbei hatte ich den Slam 2013 nach Bielefeld geholt und mit einem tollen Team durchgezogen. Einen richtigen Comic in einem „richtigen“ Verlag veröffentlicht. Und so vieles mehr in nur 48 Monaten erreicht, wofür andere viele Jahre brauchten. Privat: Kinder gesund, Schule prima, Beziehung gut. Alles immer begleitet von eurem steten leisen Applaus auf allen Kanälen. (Vielen Dank dafür.) „Just for the record“ also alles bestens. Aber auf dem Sofa zappte das alte Paar weiter vor sich hin. Schaute vieles und blieb nirgends richtig hängen. Pennte ein und wachte lustlos wieder auf.

Dann hatte ich die Schnauze voll davon.

Mit diesen Gedanken und dem festen Ziel, dahinter zu kommen was geschehen war und das dann zu ändern, ging ich nun in den dritten #alleineurlaub2017. Wieder nach England. Dieses mal ausschließlich nach London. Weil London eine total super Stadt und England sowieso das beste Land ist. Aber das ist ein anderes Thema.

Da ich also ein paar Tage weg sein würde und Steffi sich das sowieso gewünscht hatte, schaute ich mit ihr am Abend vor meiner Abreise die Dokumentation Minimalism auf Netflix. Völlig urlaubsreif bin ich zwar nach Dreiviertel eingepennt. Diesmal in echt und nicht metaphorisch. (Was an mir und nicht an der tollen Doku lag.) Aber dennoch blieb von dem, was ich bis dahin gesehen und gehörte hatte, genug hängen. So recherchierte ich im Netz, früh morgens vorm Abflug im Flughafen Hannover, nach zwei Männern, die in der Doku gefeatured werden: den „The Minimalists“ Joshua Fields Millburn und Ryan Nicodemus. Ich fand ein Buch, das spannend schien und kaufte die Kindle-Edition als Lektüre für meinen England-Trip: Everything That Remains von Joshua Fields Millburn. Nach gut der Hälfte, die ich bislang gelesen habe, kann ich resümieren: Das hat sich gelohnt. Spoiler: Tolles Buch. Deshalb:

Harrods in London. Was für ein fürchterlicher Ort.

Nicht, dass ich jetzt Minimalist werde und alles wegwerfe. Um Himmels willen! Dazu mag ich all die Dinge, die ich besitze viel zu sehr. Nur 50 Dinge haben, die aber wirklich, geht sicherlich. Nur für mich nicht.

Aber die Geschichte, wie Joshua von einem erfolgreichen Business-Menschen, auf der Jagd nach dem amerikanischen Traum, zum Minimalismus kam, las sich in vielen Aspekten parallel zu meiner und zu meinem Entschluss aus dem Spätsommer 2011. Der, den ich damals gefasst hatte, beruflich noch einmal umzusatteln. Weg aus einer großen Agentur, rein in die Freiberuflichkeit. Das war auch irgendwie ein Neustart: Raus aus der vermeintlichen Komfortzone, rein in die echte Komfortzone. Das war der Teil des Buchs, bei dem ich die ganze Zeit genickt habe. Aber war das nicht auch das, was mich und mein Leben, das alte Ehepaar, hierhin gebracht hatte? Wenn das der Anfang einer neuen Reise war, wo sollte ich dann landen?

Mir war also klar: Es steckte mehr hinter dem, was Joshua erzählte. Da war dieses Gefühl, von dem er schrieb. Dieses, dass alles doch total gut ist, aber man dennoch fest steckt in seinem eigenen, frei gewählten, tollen Leben. Weil man zwar vorwärts kommt, aber doch irgendwie in die falsche Richtung rennt. Wie gesagt: Materialismus war das bei mir nicht. Also musste es etwas anderes sein, das Schieflage hatte.

Nach einigen langen Wanderungen durch den Londoner Stadtdschungel und Fahrten mit der stickigen Tube, fand ich bei Fish and Chips und Lager heraus, was falsch war: Ihr wart das.

Krass, oder? Lasst mich erklären:

Eine andere Sache, die ich in den 100 Minuten des Hinflugs gemacht hatte – auch, weil mir da schon klar war, obwohl ich das Buch noch nicht angefangen hatte, das „Ausmisten“ das Thema des #alleineurlaubs und des Herbstes sein würde: Ich hatte meinen Rechner aufgeräumt. Sachen gelöscht, Dateien sortiert und dazu Verzeichnisse durchgeschaut. Unter anderem stieß ich dabei auf Jahre alte Textentwürfe und nicht ganz so alte Zeichnungen. Vor allem letztere waren irgendwie anders als das, was ich in den vergangenen, sagen wir mal: zwei Jahren zu Papier gebracht hatte. Inklusive einiger Passagen von Großväterland und etlichen ONE.-Illus. Was ich da fand, war ehrlicher. Die Texte und Illustrationen waren noch viel mehr „ich“ gewesen. Manchen sah man zwar an, dass ich seit dem viel gezeichnet hatte. Ihnen fehlte Präzision und Handwerk. Nur: Manchmal gewannen sie dadurch auch. Oft hatten sie mehr Seele als jüngere Arbeiten. Ich hatte meine kreative Seele an irgendeiner Raststätte des Lebens zurückgelassen und war einfach weiter gerast. Und nun bemerkte ich, dass ich der Geisterfahrer war.

Was das nun mit Euch zu tun hat? Passt mal auf:

Das meiste, was ich so zeichne und schreibe verteile ich über soziale Medien. Weil heute jeder sein eigener Publisher sein kann. Und oder muss. (Hier Blog-Beitrag dazu.). Und ihr habt immer und oft fleißig „Gefällt mir“ und auf Sterne und Herzen geklickt, wenn ich was veröffentlicht habe. Das tut jedesmal gut und „Danke“ auch dafür. Und was da passiert mit einem ist auch auf eine sehr nüchterne Art interessant: Weil jedes Mal die Dopamin-Drüsen im Körper „Feuer frei“ rufen, wenn man ein Like einsammelt. Da machste nix. So ist das mit Belohnungen und Applaus. Bei jedem Lebewesen. Verdammt, so dressiert man Hunde.

Und weil Dopamin eine Droge ist, macht die süchtig.

Und weil Dopamin eine Droge ist, will man immer mehr davon.

Und weil Dopamin eine Droge ist, muss die Dosis auch immer höher werden.

Also habe ich versucht, immer mehr so zu zeichnen und zu schreiben, zu fotografieren und zu filmen, wie es Euch, meinem Publikum gefällt. Das Irre: Ich tat das völlig unbewusst. Am Ende gab ich meine Leidenschaft für meine Art des Erzählens ein gutes Stück auf. In den geschriebenen, den gezeichneten, den fotografierten und gefilmten Dinge. Für den schnellen Kick eines Klicks. Doch die nachhaltige innere Freude, die ich früher gespürt hatte, oft auch nur für mich, die mich überhaupt Anfang meiner Zwanziger hat entscheiden lassen, aus all dem einen Beruf zu machen, die war weg.

Ich habe da jetzt auch keine belastbaren Zahlen. Aber mein Gefühl sagt mir, dass die Zahl der tatsächlichen Herzchen mit der Zeit gesunken ist. Aber selbst wenn sie stabil geblieben ist: Es hat sich irgendwie falsch angefühlt. Einfach weil es nicht ehrlich war. Manchmal sogar im großen Maßstab. Nach jedem kleinen Dopamin-Kick war da immer auch eine Leere. Also zappte der müde Finger auf der Fernbedienung zum nächsten Programm. Und zap.

Was ist eigentlich das Gegenteil von „geteilter Freude“?

Aber: Das ist noch nicht alles.

Ein dritter Aspekt ist dieser: Vor einiger Zeit plauderte ich mit Steffi darüber, was man so für die Gesellschaft tun kann. Im Kleinen. Ich für meinen Teil kam schon als Teenager zu dem Schluss, dass ich nicht der Typ für ehrenamtliche Arbeiten und Engagement in Vereinen und NGOs bin. Da kommt mir mein introvertiertes Wesen in die Quere. Eigentlich völlig ab vom Thema, wurde mir im Laufe des Gesprächs jedoch klar, was ich mit all den Dingen, die ich als Kreativer tue, noch erreichen will. Abseits von Kreativunternehmer. Und welches Lob, jenseits von Likes, mir immer am meisten bedeutet hat.

Das waren die Momente, wenn Menschen sagten, dass ich sie inspiriere. Im Denken und Handeln. Als ich mich daran erinnerte, verstand ich, dass es nicht nur meine Aufgabe, sondern sogar meine Pflicht in meiner kleinen Welt ist, zu versuchen, die Menschen um mich herum durch meine Kreativität zu inspirieren. Und nun weiß ich, dass das nur dann wirklich und ehrlich funktioniert, wenn es aus meiner eigenen Inspiration kommt und nicht aus der Sucht nach einem schnellen Klick.

Es tut mir leid, dass ich das vergessen habe. Ich kann da nur um Entschuldigung bitten.

Deshalb: Mit dem einen ist nun Schluss, das andere hole ich mir zurück und das dritte kommt dann ganz von selbst.

Hier ist der Plan

Die Voraussetzungen sind sehr gut. Dank der Tatsache, dass unsere Agentur Bombe läuft, bin ich in die Richtung abgesichert. Außerdem habe ich meine Aktivitäten im Social Media-Bereich schon seit einiger Zeit neu definiert. (Voll überraschend: Social Media ist ein Zeit- und Aufmerksamkeitsfresser!) Facebook ist für mich seit Wochen nur noch ein Publikations-Werkzeug, auf dem ich nur sehr wenig konsumiere. Am Ball bleibe ich im Wesentlichen durch das viel leichter zu verdauende Twitter. Instagram ist sowieso viel weniger anstrengend. Dennoch habe ich die Zeit in London auch genutzt und Facebook-Likes für Seiten und YouTube-Abos ausgemistet. Das gleiche werde ich auf Twitter tun. Wie gesagt: Ich werde kein Minimalist. Auch kein digitaler. Dazu ist mir in diesem Aspekt der Kontakt und die Reichweite, die ich mir über Jahre aufgebaut habe, viel zu wichtig. Ein verantwortungsvoller Umgang mit sozialen Medien ist immer ein Gewinn. Da können noch so viele Unken unken. Aber ich werde ich das in Zukunft anders, noch konsequenter nutzen. Immer mit dem Ziel der Erfüllung der oben genannten Ziele.

Ich schreibe das alles in meinem kleinen Zimmer, während diese Riesenstadt vor meinem Fenster vor sich hin pulsiert. Zu einer Zeit, in der ich eigentlich da draußen sein sollte. Ich könnte Fotos machen davon und diese verteilen. Herzen und Daumen einsammeln. Ich weiß, wie das geht. Klick. Kick. Klick. Kick. Aber dieser alte Drang hat mich hierhin getrieben. Die Muse. An diese Tastatur. Mich meinen Browser öffnen lassen. Um diesen sehr langen Text da hinein zu tippen. Zu erzählen. Euch. Und jetzt, da ich fast damit fertig bin, fühlt sich das sehr richtig an.

Und ich bin glücklich.

Ich hoffe, das gefällt Euch.

Der Beitrag Ich muss Euch um Entschuldigung bitten – Ein Mission Statement erschien zuerst auf Markus Freise | Internet . Illustration . Design . Poetry-Slam | Bielefeld.


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